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Band 2

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Aufbrüche

 

Die 60er und frühen 70er Jahre in Liechtenstein, Jahre des Aufbruchs, in Stichworten: 1961 Gründung der Landesbibliothek mit Robert Allgäuer als seinem ersten Leiter, 1963 Eröffnung der liechtensteinischen Musikschule, 1963 Bau der modernen Pfarrkirche in Schellenberg von Architekt Eduard Ladner mit Kirchenfenstern von Fritz Weigner. 1964 Geburtsstunde des ersten politschen Kabaretts «Kaktus», 1965 Errichtung der Stiftung «Liechtensteinischer Entwicklungsdienst», Gedenkausstellung der Werke von Ferdinand Nigg, Erste Kundgebung in Mauren gegen das thermische Kraftwerk in Rüthi, 1966 Kraus Periodicals Ltd. – Botschafter des Geistes, 1968 (Ende März) «Apokalypse» - Farbholzschnitte von Martin Frommelt, (Anfangs August) Ausstellung von «Das Buch als Kunst und Collection de l’Avantgarde» von Robert Altmann, nach einer Disposition des kubanischen Architekten Ricardo Porro, (Ende August) Sympathie-Kundgebung für die CSSR in Vaduz in vorderster Front mit Erbprinz Hans Adam, Erbprinzessin Marie Aglae, Prinzessin Nora, Prinz Philipp, Prinz Heinrich von Liechtenstein, dem Liechtensteinischen Gesandten in Bern: Alles andere als selbstverständlich, wenn der Adel demonstriert, verständlich aber aus der historischen Verbundenheit des Hauses Liechtenstein und der Glinskys in Prag, Böhmen und Mähren. (siehe Bild)

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Die «Chiffre» 1968 steht für studentischen Protest, Rufe nach Veränderung, für Demonstrationen, Aufbegehren gegen alte Ordnungen und Strukturen. Hans-Jörg Rheinberger und Norbert Haas, Studenten Liechtensteiner Provenienz, berichten, was sie in Berlin 1967 und 1968 hautnah erlebten und erfuhren. Was in den Städten aufbrach und zu grossen gesellschaftspolitischen Erschütterungen führte, erreichte die Provinz als abgeschwächtes Zittern, gleichwohl mit nachhaltiger Wirkung. Wir suchen nach kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Nachwirkungen, nach dem Substrat der Revolution, nach dem was übrig geblieben ist von den Parolen.

 

Die Chiffre 1968 steht für neue Musik, neue Mode, neue Lebensformen, neue Gesellschaftsentwürfe und die kollektive Unruhe, die eine ganze Generation erfasst hat. Auch in Liechtenstein. Die neue Jugendkultur hat die Menschen nicht nur zum Tanzen und Träumen gebracht, sondern auch zum Denken; sie hat Unruhe gestiftet, verkrustete Strukturen aufgebrochen und Mut gemacht für soziale, kulturelle und politische Experimente. 1968, das Jahr des Aufbruchs, hat viele zittern lassen vor Aufregung und Vorfreude, und manche haben sich danach ein Leben lang dem Stillstand verweigert. Wer einmal in Bewegung war, setzt sich nicht so schnell zur Ruhe. Das eigene Dorf wird den Bewegten schnell zu klein, das Tal zu eng, die Grenzen des Landes werden zu Grenzen des Geistes. Bewusstseinserweiterung findet anderswo statt, in den Metropolen, die die Jungen anziehen; von dort, den Epizentren des großen Bebens, kehren viele aber auch wieder zurück in die Heimat, mit neuen Erfahrungen und neuen Ideen.

1968 ist Aufbruch und Bewegung, doch nicht alle tanzen mit in jener Zeit. Manch einer, der der neuen Damenmode und sexuellen Freiheit vom Biertisch aus viel abgewinnen kann, denkt gar nicht daran, auch für das Frauenstimmrecht einzutreten. Darauf wird man noch 25 lange Jahre warten müssen. Das große Beben hat sich schon verlaufen, bis es Vaduz erreicht. Wie war es damals wirklich? Und was ist aus den Menschen von damals geworden? In zwanzig Lebenserinnerungen erzählen in diesem Band Protagonisten von damals, wie sie diese bewegte Zeit miterlebt haben. Sie erzählen von der großen Freiheit im kleinen Ober- und Unterland: Geschichten des Aufbruchs, Geschichten von Architektur und Design, von Theater und Kabarett, von Beat und Rock, von Zürich und Berlin, Emanzipation und Selbstverwirklichung. Und Geschichten von der Rückkehr in eine Heimat, die nicht mehr die gleiche sein wird.

Die Vielfalt der Lebensläufe lässt ein lebendiges Bild der späten 1960er Jahre und der Generation entstehen, die wir als „die 68er“ bezeichnen. Auch wenn die individuellen Wege, Interessen und Biographien sehr unterschiedlich ausfallen, entsteht das lebendige Bild einer Generation, die aus der Rückschau einen nahezu mythischen Ruf genießt. Bis heute wirken die 68er prägend: Sie ermutigen uns, gesellschaftliche Zwänge zu überwinden, uns über Denkverbote hinwegzusetzen, uns auszuprobieren und das Leben selbstbestimmt in die eigene Hand zu nehmen – und sie machen deutlich, dass das Private immer auch politisch ist. Damals wie heute.

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Ergänzt und gerahmt werden diese autobiographischen Erinnerungen durch die Beiträge zu der Ringvorlesung „1968 und das Zittern in der Provinz“, die das Liechtenstein Institut in Bendern im Frühjahr 2018 veranstaltet hat. Christoph Jürgensen und Antonius Weixler erinnern aus kulturwissenschaftlicher Perspektive an den Soundtrack der Zeit. Heike Kempe zeigt am Beispiel von Konstanz, dass sich auch in der Provinz alternative Milieus etablieren konnten. Der Historiker Jürgen Schremser untersucht, wie der Protest Vaduz erreichte und den Boden für Veränderungen wie die Einführung des Frauenstimmrechts bereitete. Roy Sommer plädiert für eine differenzierte Betrachtung der Dynamik von Rändern und Zentren – die Initiatoren des gesellschaftlichen Wandels stammen schließlich häufig  aus der Provinz. Der Beitrag von Werner Caviezel zur 68er-Bewegung in Graubünden, sowie zahlreiche Reproduktionen und Fundstücke, die die Zeit lebendig werden lassen, runden den Band ab.

 

«Aufbrüche» ist der zweite Band der Buchreihe Liechtenstein erzählen.

Das narrative Langzeitprojekt fördert die Entwicklung einer pluralistischen Gesellschaft im Fürstentum Liechtenstein. Es bietet ein Forum für alternative Geschichten und Wirklichkeitsentwürfe, dokumentiert kulturelle Entwicklungen und regt zu neuen Debatten an.

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